Tochter der Nacht

Prolog
Es war eine dunkle, kalte Nacht. Eine Nacht, in der man lieber zu Hause vor dem Fernseher saß. Eine Nacht in der Gruselgeschichten beginnen, Krimis oder Vorgeschichten von Fantasyromanen.
Doch in dieser Nacht begann nichts. Etwas endete.
Elisabeth Engel, älteste von drei Schwestern und Mutter einer erwachsenen Tochter, verließ nur ungern ihr Haus. Seit dem Tag, an dem sie einen Banküberfall miterlebt hatte, traute sie niemandem mehr.
Doch in der besagten Nacht tat sie es trotzdem.
Die Dunkelheit jagte ihr keine Angst ein, in dieser Hinsicht war sie den Menschen überlegen. Natürlich war Elisabeth ein Mensch, sie hatte rotblondes Haar, graue Augen und war recht klein.
Doch jetzt leuchteten ihre Augen silbern, die sonst unscheinbare Frau bewegte sich leichtfüßig und flink.
„Hoffentlich hat der Laden noch auf!“, murmelte sie vor sich hin.
Fröstelnd schlang sie die Arme um den dünnen Körper und ging noch etwas schneller.

Die wenigen Laternen, die die Straße säumten, tauchten alles in ein schummriges Licht, ließen sie auf eine merkwürdige Weise noch verlassener wirken als sie war.
Eine Motte flatterte auf das helle Licht zu.
Elisabeth blieb stehen und beobachtete das Schauspiel.
Die Motte umkreiste die Laterne. Das Licht leuchtete durch ihre hauchdünnen Flügel und machte der Frau klar wie zerbrechlich dieses kleine Tier war. Wie zerbrechlich sie selbst war...
Dann schien die Motte einen Ritz gefunden zu haben. Endlich konnte sie das Licht, die Wärme richtig sehen und spüren. Für das zarte Wesen war es ein schöner Moment, ein Moment des Triumphs. Für Elisabeth war es ein Moment der Niederlage. Es war immer das selbe. Immer beging man die selben dummen Fehler.
Sie wandte sich ab und ging ein paar Schritte weiter. Ihr war jetzt noch unwohler als zuvor. Als würde jemand sie beobachten. Ihre silbernen Augen suchten die Umgebung ab, doch da war nichts. Kein lebendes Wesen trieb sich hier draußen herum. Und trotzdem...
Ein seltsam kalter Wind ließ die Bäume ächzen, heulte an den Straßenecken und drohte die Frau umzuwerfen. Er war noch kälter als die Luft ohnehin schon war.
Blätter wurden ihr entgegen gewirbelt.
Rote, gelbe, sogar violette. Im Sommer?
"Nein", hauchte Elisabeth.
"Oh doch!"
Die Flügel der Motte hörten im gleichen Moment auf zu schlagen wie das Herz von ELisabeth Engel.

"Und du rufst jeden Tag an?"
"Ja Mum."
"Und du hast wirklich alles was du brauchst?"
"Ja Mum."
"Und du bist dir sicher, das du das machen willst?"
"Ja Mum!"
Ich warf mir meine Tasche über die Schulter und stieg aus dem Auto. Sengende Hitze und der Geruch nach Gülle wallten mir entgegen.
Ich rümpfte die Nase und machte mich schnell auf den Weg zum Haus meiner Großeltern. Sie und meine Eltern wollten nach Bayern auf irgendeine goldene Hochzeit. Ich sollte bis zu ihrer Rückkehr in vier Tagen hier wohnen und auf den Hund aufpassen.
Ich stieg die moosbewachsenen Stufen zur Tür hinauf. Es war verblüffend, wie sehr Haus und Garten verwildert waren, obwohl mein Großvater jeden Tag hakte, fegte und jätete.
Um ehrlich zu sein mochte ich keine Ordnung, nicht im Garten. Als kleines Kind hatte ich fest daran geglaubt, das es hier Feen gab. Ich hatte mich in einem Busch versteckt und stundenlang dort ausgeharrt, nur um eines der kleinen Wesen zu sehen.
Jetzt, mit zwölf Jahren, glaubte ich natürlich nicht mehr an Feen. Ich glaubte an das, was Wissenschaftler in ihren Laboren herausfanden und an das, was ich sah.
Das erste was ich jedoch sah, nachdem ich mich lang und breit von meiner Mutter verabschiedet hatte, wollte ich nicht glauben.
Der Schlüssel, der einzige Schlüssel, den noch niemand verloren hatte, war abgebrochen. Vorne fehlte ein Stück. Ein ziemlich großes Stück.
"Fuck!"
Ich trat gegen die alte Holztür, was eigentlich gar nicht meine Art war. Zu meinem Bedauern schwang sie nicht auf und mir blieb nichts anderes übrig als mit meiner Haarspange im Schloss herumzustochern.
Nicht das ich gedacht hätte, das es klappt, aber einen Versuch war es Wert. Eine Kreditkarte hatte ich nicht dabei, genau so wenig wie einen Dietrich.
"Komm schon, komm schon... komm... schon...", spornte ich das Schloss an, doch anstatt des ersehnten Klick!, ertönte nur ein Krcks! und ich hielt ein rotes Stück Plastik in Händen. Den Rest meiner Haarspange.

Ich saß jetzt seit fünf Minuten und zweiunddreißig Sekunden auf der Treppe, wie ich mit einem Blick auf die Stoppuhr meines Handys feststellte.
Ich hatte mehrere Freundinnen um Rat gebeten, aber keine hatte mir einen brauchbaren Ratschlag gegeben.
"I stumble up to the Window. Open the curtains to-", meldete sich mein Handy.
Ich rief die neue Nachricht ab.

Hey Mieze!
Geh einfach mal hinten rum!

Finn

Finn. FINN?!
Der frechste Junge der Klasse, der Schwarm meiner besten Freundin Sophie und seit der 5. mein Erzfeind. Wer hatte ihm meine Nummer gegeben? Wer hatte ihm erzählt das ich vor dem Haus meiner Großeltern festsaß? Ich spürte wie ich rot wurde.
Emma.
Ich schrieb zurück:

Hey Volli!
Behalt deine Tipps für dich.
Sag Emma, das ich ihr den Kopf abreiße, wenn ich wieder da bin.

M

Ich stand auf, steckte mein Handy in die Hosentasche und ging um das Haus herum zur Terasse.

Am liebsten hätte ich mich selbst umgebracht. Oder Emma. Oder Finn.
Die Terassentür war nur herangezogen, an ihr klebte ein gelber Zettel.
"Na toll!"
Ich weiß, ich hätte mich freuen und eventuell Finn danken sollen... Oder meiner ehemaligen Freundin Emma, für den Hochverrat. Wie konnte sie ausgerechnet diesem Typen meine Nummer geben? Sie wusste das ich ihn hasste. Zumindest glaubte ich, das ich ihn hasste. Richtig sicher war ich mir nicht mehr.
Seufzend ging ich zu er Tür hinüber und las den Zettel.

Hallo Liebes!
Es tut mir Leid, das wir es dir nicht gesagt haben, aber der Schlüssel ist kaputt.
Gehe einfach immer hinten rein und raus, aber verschließe die Tür abends gut!

Viele Grüße

Oma

Meine Oma Marie hatte eine sehr schöne Schrift, aber auf dem kleinen Blatt waren die Buchstaben gequetscht und teilweise verschmiert.
Ich knüllte es zusammen und drückte die Tür auf. Im Haus war es angenehm kühl- und es roch nicht nach Gülle.
"Elly?", rief ich.
Nichts geschah.
"Elly! Komm her!"
"Wuff!"
Ich lächelte in mich hinein als die große Hündin auf mich zu gelaufen kam. Sie wäre bestimmt gerannt, aber für einen so alten Hund ist das anscheinend zu schwer.
Ich wuschelte ihr kurz über den Kopf, schloss die Tür und legte meine Tasche ab.
"Gucken wir mal was dein Frauchen mir für Anweisungen hinterlassen hat."
Auf dem Weg in die Küche viel mein Blick sofort auf das neue Sofa. Es war weiß, wie die anderen Möbel, und sah sehr gemütlich aus. Alles in diesem Haus war im Landhaus Stil eingerichtet, es gab keine Deko, dafür aber Unmengen von Büchern.
Bücher über Tiere, Bücher über Pflanzen, Geschichtsbücher, Biographien, Romane und Krimis standen nah Genre und Autor sortiert in Regalen und Schränken.
In unserem Haus gab es auch viele Bücher, doch das hier übertraf selbst unsere Stadtbücherei. Das ist nicht schwer, denn sehr viele Bücher, die für über-Sechsjährige geeignet sind, gibt es dort nicht.
Aber einige sind es trotzdem und für den Notfall gibt es ja noch Buchhandlungen.
Die Küche war im gleichen Stil eingerichtet, nur die Mikrowelle passte nicht ganz dazu.
An ihr klebte ein weiterer gelber Zettel.

Milch, Eier, Butter, etc. sind im Kühlschrank. Der Brotkorb steht im Schrank, Darüber Teller. Besteck findest du in der Schublade im Tisch.

Ein überflüssiger gelber Klebezettel. Ich wusste sowieso wo die Sachen waren.

Nachdem ich meine Sachen ausgepackt hatte ging ich wieder ins Wohnzimmer, wo Elly mich schwanzwedelnd erwartete. Es war Zeit zum Gassi gehen, wie mir ein Blick auf die Wanduhr verriet. 15: 43 Uhr.
Ich schnalzte mit der Zunge und ging zur Terassentür. Eine Leine nahm ich nicht mit, das war zwar unvorsichtig und total falsch, aber ich bildete mir ein zumindest ein bisschen stärker zu sein als Elly. Und schneller.
Ich beschloss durch den Wald zu gehen. Ich liebte diese Strecke, sie gab mir das Gefühl der einzige Mensch auf der Welt zu sein. Das rostige Gartentor quietschte, als ich es aufdrückte. Dahinter lag ein unebener Weg, der zwischen Raps- und Weizenfeldern hindurch führte. Ich schlenderte immer weiter, bis ich den Waldrand erreichte.
Elly blieb alle paar Meter stehen um an Bäumen zu schnuppern - oder ein Häufchen zu machen.
Ich hielt einfach nur die Nase in den Wind und nahm die Gerüche des Waldes auf.
So gelangten wir immer tiefer in den Wald, ohne das ich wusste wie lange wir schon liefen. Die Linden wichen Fichten und Tannen, das Licht drang nur noch spärlich durch die Zweige. Mit einem Mal sah ich auf und unterbrach damit einen meiner Tagträume in dem ich bei der Mafia als Auftragskillerin gearbeitet und gerade Finn die Kehle durchgeschnitten hatte. Elly war stehen geblieben. Mitten auf dem Weg.
Stur blickte sie geradeaus. Ein leises Knurren drang zu mir hinüber.
"Kannst du nicht mehr?", fragte ich, auch wenn es natürlich eine blöde Frage an einen Hund war.
"Grrrrrrr"
Ich nahm die Hündin am Halsband und zerrte sie zurück. Mir war der Spaß vergangen. Außerdem war es vermutlich schon recht spät, ich hatte für heute Abend noch ein, zwei Krimis eingeplant.

Kaum waren wir wieder im Haus begann Elly wie verrückt hin und her zu laufen.
Ein Hundekuchen lenkte sie für ein paar Minuten ab, dann blieb mir allerdings nichts anderes übrig als sie in den Flur zu sperren, wo ihr Korb stand.
"Gute Nacht!", meinte ich durch die verschlossene Tür und ließ mich auf das Sofa fallen.
Was war nur los? Wurde ich verrückt?
Vollkommen fertig schaltete ich den Fernseher an.
Der Nachrichtensprecher wünschte den Zuschauern einen schönen Abend und viel Spaß mit einer neuen Folge NCIS.
Ich sah auf die Uhr. 20:15 Uhr. Also eine Folge ab 16, was viel Blut bedeutete. Gut.
Genau das brauchte ich jetzt.

Merle will eigentlich nur vier Tage lang im Haus ihrer Großeltern auspannen, auf deren Hund sie aufpassen soll.
Doch als dieser verrückt spielt und urplötzlich ein fremder Junge in ihrem Schlafzimmer steht, dämmert Merle, das etwas nicht stimmt.
Was sie nicht weiß: Das ist erst der Anfang einer langen Kette von Ereignissen, die ihr Leben ,und vor allem ihre Einstellung gegenüber Magie, für immer verändern wird.

"Weißt du auch woran ich jetzt denke?", fragte Tony.
Ich blinzelte.
"Du denkst daran das mit mir zu tuen, was auf Seite 47 steht", antwortete Ziva und grinste.
Was ist los?
Müde richtete ich mich auf und versuchte auf die Uhr zu sehen. Es ging nicht.
Es war stockfinster, nur der Fernseher spendete ein wenig Licht. Ich erkannte die Folge, die gerade lief, Staffel 3, und drückte schnell auf die Aus-Taste der Fernbedienung.
Jetzt konnte ich gar nichts mehr sehen. Toll.
Ich schlief nie vor dem Fernseher ein, aber das letzte, an das ich mich erinnern konnte, war eine Reality-Soap.
"Kein Wunder..."
Langsam stand ich auf und tastete mich am Sofa entlang zur Wand. Fieberhaft suchten meine Finger nach dem Lichtschalter.
Klick!
Die Glühbirne flackerte, ging dann aber richtig an.
Mit fünf Schritten war ich an der Tür, machte das Licht im Flur an, ging zurück und machte die Lampe im Wohnzimmer aus.
Dann rannte ich die Treppe hoch in mein Zimmer. Es musste schon sehr spät sein. Gähnend machte ich das Licht im Flur wieder aus und schlurfte in mein Zimmer.
Dort verzichtete ich auf Licht und wollte mich einfach nur in mein Bett fallen lassen. So müde wie ich war stolperte ich fast über meine eigenen Füße und stieß mich am Kleiderschrank.
"Mist!"
Ich rieb mir den Ellenbogen. Er war bestimmt rot, was ich Dunkeln natürlich nicht sah. Ich war so abgelenkt, das ich die zweite Person im Raum nicht bemerkte... Bis sie mich von hinten packte und mir den schmerzenden Arm auf den Rücken drehte.

Trotz der heutigen Ereignisse, oder eher der gestrigen, wie ich vermutete, war ich ziemlich erschrocken. Für einen kurzen Moment konnte ich mich nicht rühren, dann fuhr ich herum und schlug zu. "Au!"
"Au!"
Das erste Au kam von mir, weil der Andere immer noch meinen linken Arm festhielt. Stechender Schmerz breitete sich darin auf.
Hoffentlich ist er nicht gebrochen!
Das zweite Au kam von meinem Angreifer. Anscheinend hatte ich getroffen.
Ich riss mich von ihm los und taumelte zurück. Ich knallte gegen die Wand- und auf den Lichtschalter.
Vor mir stand ein Junge, vielleicht etwas älter als ich. Ich schätzte ihn auf 13 oder 14. Er hatte Rabenschwarzes Haar und dunkle Augen, die mich wütend anstarrten.
Er sah auch sonst nicht gerade freundlich aus: Er trug zerrissene Jeans, ein ebenfalls zerrissenes T-Shirt und ein Lederarmband. Irgendwie erinnerte er mich an jemanden...
"Wer bist du?", fragte er kalt.
Trotz der nicht allzu freundlichen Situation musste ich lachen.
"Wer bist du, fragte der Einbrecher, nachdem er ihr den Arm auf den Rücken gebogen und sie fast zu Tode erschreckt hatte."
Ich war nicht gut darin, die Gedanken von anderen zu erraten, aber bei ihm war es ziemlich leicht.
Noch ein Wort und ich mach´ dich kalt.